9
Dez
2006

Heinrich, mir graut vor mir!

Es war, nach meinem eigenen, nicht notwendigerweise allgemein gültigen Zeitempfinden, frühmorgens, nach dem Sport. Das wärmende Wasser hat meinen Körper wie in eine Decke gehüllt und meinen Nacken massiert. Ich halte inne, obwohl mein Körper schon vom Chlorwasserduft befreit ist. Ich habe plötzlich das Gefühl, mein Körper brauche diesen Luxus so dringend wie ein Stückchen Brot. Über den Tag verteilt gönne ich mir noch ein paar solcher Momente, und dafür stellt sich als ungebetener Gast ein schlechtes Gewissen ein.

Zeit – eine versuchte Definition. Hm. Ein abstrakter Faktor, Spielball von Angebot und Nachfrage in der leistungsorientierten Konsumgesellschaft. Ein paar Minuten – unendlich kostbar, wenn sie unvermutet zum Kräftesammeln vor einer größeren Anstrengung übrig bleiben. Wertlos, wenn man sie an einer Bushaltestelle zubringen muss. Momos graue Herren paffen eifrig an ihren Zigarren, mir fehlt sie derzeit allerorts. Des Abends schmieren sich die Schreckgespenster meiner unerledigten To-Do-List als unliebsame Bettgenossen an mein Kopfkissen und murmeln mir unablässig ins Ohr, während ich mir vergeblich befehle, endlich einzuschlafen, schließlich habe ich morgen „Keine Zeit!“ müde zu sein.

Wem ist denn der Geniestreich gelungen, die Zeit mit Maßeinheiten auszustatten? Den Marketingexperten der alten Ägypter, oder den Zauberern von Atlantis, deren Insel aus Rache versenkt wurde? Hundertstelsekunden, Freiminuten, Arbeitsstunden, Wochenendstau, Monatsmiete, Jahresbilanz – ist das die Rechnung für die vielzitierte Erbsünde, die den Evastöchtern und Adamssöhnen nach der Abschiebung aus dem Paradies präsentiert wird?

"Werd ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zugrunde gehn!
Dann mag die Totenglocke schallen,
Dann bist du deines Dienstes frei,
Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen,
Es sei die Zeit für mich vorbei!"

Das Erbe der wahren Yuppies: Instant Gratification!
Zeit ist schließlich Geld, und alle Macht dem Mammon.
Heinrich Faust hat das gewusst, aber wann hab ich unterschrieben?

Celia